Ein Trainer-Lauf-Bericht von der DM-Lang Herren Elite bei Bad Harzburg
Am 10. Oktober 2015 war es soweit, der Jahresabschluss der nationalen Orientierungslaufsaison 2015 bei Bad Harzburg im Harz mit den deutschen Meisterschaften über die Lang-Distanz zusammen mit dem Junior European Cup Orienteering (JEC) fand statt.
Den Sprint (und Jahresabschluss der Park-Tour) am Abend davor nutzte ich als warm-up und versuchte mich auf der Strecke nicht völlig zu verausgaben.
Merke: auch beim “nicht verausgaben“ sollte man immer die Codenummern kontrollieren! Mit einem Fehlstempel konnte das Wochenende nur besser werden...
Am Abend vor einem großen Wettkampf sollte man ja noch nach Möglichkeiten einem kleinen Läufchen um die 20 Minuten – das ist lang genug, damit dem Körper eine sportliche Belastung vorgegaukelt wird und er in der Nacht regeneriert, aber kurz genug, damit keine tatsächliche Belastung und Erschöpfung am Folgetag statt findet – machen.
Am nächsten Morgen war es dann soweit. Nach einer nicht so ruhigen Nacht im Massenlager versuchten Yannic und ich unser Frühstück so zu timen, dass es unseren Lauf später nicht beeinträchtigte. Das bedeutet bei einer so langen und schwierigen Strecke, dass wir Art des Frühstücks, Menge und Verdauungszeit beachten müssen. 3 Stunden vor dem Lauf sind definitiv zu früh!
Auf dem Plateau, wo das Zielgebiet war, herrschte ein kalter und starker Wind. Das hieß, sich gut und warm einpacken, damit man nicht schon vor dem eigentlichen Wettkampf seinen Energiehaushalt zur eigenen Wärmeregulierung verbraucht. Nach einer letzten Banane nutzten wir den Weg zum Start zum Einlaufen. Das sorgte dafür, dass der Körper sich langsam in die sportliche Betriebstemperatur brachte und sich die Muskeln aufwärmten.
Merke: Ein kurzes Aufwärmen und vorsichtiges Dehnen vor einem Lauf vermindert das Verletzungsrisiko.
Weiter beschäftigten wir uns noch kurz über das Elend, das uns erwarten würde. Bei den Bahndaten von 16 Kilometern Länge und 690 Höhenmetern konnte ich mir gerade noch so eine Träne wegdrücken. Was habe ich mir dabei eigentlich gedacht. Ich blickte zurück auf mein Training und meine Vorbereitung. Was würde mich bei diesem Lauf erwarten? Ich hatte mich vorbereitet: durchwachsener Hochwald mit viel Nadelholzanteil, steiniges und felsiges Gelände, wahrscheinlich sehr unübersichtlich, steile Hänge und tiefe Täler. Kartenausschnitte aus der Gegend und ähnliches Terrain hatte ich studiert. Das dazugehörige und darauf abgestimmte wochenlange Training hatte ich absolviert ... nicht! Mist, wenn dann der Körper schon nicht vorbereitet ist wenigstens der Kopf. Die Sonne schien an dem Tag, die Motivation war trotz der Jammerei in großen Mengen vorhanden, so sollte dem Spaßfaktor nichts im Wege stehen.
Spaß hatten wir...noch.
Vorstart, die letzten 6 Minuten volle Konzentration auf den Lauf. Die Schuhe sitzen richtig und die Schnürsenkel sind mit Tape fixiert. Der Kompass funktioniert und ich weiß am Start wo Norden ist. Die Postenbeschreibung befindet sich in ihrer Halterung und ich habe mir die Beschreibung der ersten drei Posten bereits angesehen, Kontrollnummern im Kopf. Es gibt eine Pflichtstrecke bis zum Startdreieck, ab dort freie Orientierung. Ich bin bereit.
Posten 1 ließ mich schon wissen, dass ich keinerlei Bergtraining dieses Jahr absolviert hatte. Ich nutzte die Zeit, um mir einen kurzen Überblick über die Gesamtstrecke zu verschaffen. Ein erstes Steinfeld bei Posten 3 und 4, ein sehr langer Postenabstand zwischen 7 und 8, sowie diverse Posten in einem sehr schweren Felsengebiet zum Ende des zweiten Drittels der Bahn. Posten 1 und 2 problemlos gefunden. Bei Posten 3 und 4 mich mit dem Kartenlesen im Stein- und Felsengelände erfolgreich versucht und dann bis Posten 7 den nicht so steilen Harz-Teil genossen.
Von 6 zu 7 begann ich meine Route zu Posten 8 zu planen. Eine Postenverbindung von geschätzten 3 Kilometern Luftlinie. Ein Klassiker beim Routenwahlproblem, außen lang oder quer durch, Weg oder Wald und welche Höhen lassen sich vermeiden, welche will/muss ich mitnehmen. Durch rückwärtiges Orientieren, wie würde ich von Posten 8 zu 7 laufen, entschied ich mich nach dem ersten Tal einen Berg mitzunehmen, um von dort aus auf die nördliche Wegroute zu gelangen.
Obwohl ich meine Orientierungs- und Absprungpunkte fast perfekt traf dauerte die Strecke eine halbe Stunde. Dabei konnte ich mein zweites körperliches Defizit für diesen Tag erkennen und zwar mein Lauftempo. Langsam, aber konstant erreichte ich Posten 8.
Danach wartete die erste große Herausforderung. War bis zu Posten 8 die Strecke schon anspruchsvoll, fand ich sie aber nicht schwer. Das änderte sich zu Posten 9 und 10. Steiler Hang bergauf, im Dickicht wieder runter und den nächsten Berg direkt wieder an Posten 10 vorbei im Grün hinauf. Nach einer gefühlten Ewigkeit stand ich heftig schnaufend südöstlich von Posten 10 auf einem befestigten Waldweg und versuchte mit meiner kleinen Welt wieder in Einklang zu kommen. Meine Muskeln schmerzten, die Lunge brannte und der Kreislauf hatte auch nicht mehr so richtig Lust auf das Ganze. Durch langsames Weiterlaufen auf dem Weg bekam ich so langsam meinen Körper wieder unter Kontrolle. Doch die Luft war wohl jetzt raus.
Die Posten 11, 12 und 13 gefielen mir trotz der Umstände sehr gut. Der erste Getränkeposten in Kombination mit einem Müsliriegel brachten dann auch wieder ein bisschen „Leben“ in die ganze Sache, wenn auch nicht lange...
Leichte Verbindungen durch klare Leitlinien und Wege, hinein in schwieriges Gelände und präzises Stationsanlaufen (und Finden) im Postenkreis. Das klassische Ampelsystem in praktischer Anwendung. Grün=schnell: auf Wegrouten und an klaren Leitlinien im Gelände hohes Tempo und geringere Orientierung, ein klarer Orientierungs-/Absprungpunkt definiert die nächste Phase. Orange=mittel: in räumlicher Nähe zum Postenstandort oder im schwierigen Gelände das Lauftempo drosseln und das Orientieren erhöhen bis man sich in Posten-/Objektnähe vorgearbeitet hat. Rot=langsam: im direkten Postenkreis durch genaues Orientieren und angepasster Laufgeschwindigkeit den Postenstandort punktgenau finden. Von meinem Lauftempo abgesehen eine perfekte Anwendung meinerseits. Schöne Postenstandorte im anspruchsvollen, aber tollem Gelände.
Dann wurde es spannend. Trotz Erschöpfung voller Vorfreude auf den besten Teil dieser Bahnlegung. Das große Felsengebiet, sogar mit Extrafenster auf der Karte im 1:7.500-Maßstab, versprach höchste Orientierungslaufansprüche. Aufgrund meiner extrem langsamen Laufgeschwindigkeit konnte ich das Gelände auf der Karte perfekt mitlesen und habe alle Stationen auf Anhieb gefunden. Zwei kleine Pfade und die großen Felstürme sorgten immer für eine grobe Standortbestimmung, während die mittelgroßen Felsen und offenen Bereiche für die feine Orientierung sorgten. Das gute Orientieren überspielten mental meinen körperlichen Exodus. Bergauf musste ich diverse Sitzpausen (oh, Gott – ist das peinlich!) einlegen. Am Ende dieser Schleife und auf den letzten Gipfel gekrochen, körperlich gebrochen, tendierte ich dann doch stark zur Aufgabe. Ich überlegte auf dem Weg zu Posten 19 wie ich am Besten zurück zum Zielgelände komme.
Dabei stellte ich fest, dass ab Posten 24 die Bahn dem Rückweg beinahe komplett entsprach und ich quasi auf Sicht sowieso an allen Stationen vorbeikommen würde. Dann schaffe ich den kleinen Schlenker davor auch noch. Ich motivierte mich selbst den Rest der Strecke in Ruhe zu machen und dabei die Sonne, die durch die Baumkronen schien, zu genießen.
Leider war nicht nur mein Körper am Ende, auch mein Hirn begann langsam in den Sparmodus zu wechseln. So passierten mir bei Posten 20 und 21 tatsächlich noch zwei dumme Orientierungsfehler, die meinen Waldaufenthalt um mindestens zehn weitere Minuten verlängerten.
Den letzten Teil der Strecke schlurfte ich nur noch wie ein Zombie durch den Wald. Keine unnötigen Höhenmeter oder Umwege mehr. Nur noch von Posten zu Posten und ab ins Ziel. Neben der Erschöpfung nahm auch die Kälte langsam überhand. Durch Bewegung entsteht Wärme, aber wenn man keine Kraft mehr hat sich vernünftig zu Bewegen kühlt man doch schnell aus. Vor Posten 27 erfragte ich mir dann sogar eine Jacke von ein paar Damen, die augenscheinlich locker, lustig eine offen-leicht-Bahn absolvierten. Mit einer kurzen Sitzpause auf einer Baumwurzel quälte ich mich den letzten Hang zu Posten 28 hinauf und trottete dann langsam die letzten Posten zum Ziel ab.
Kontrollnummer 100, am letzten Posten angekommen. Nur noch ein kurzer Zielsprint von mehreren Minuten und ich hatte es geschafft. Dankbar gab ich der Besitzerin ihre Jacke wieder.
Der Harz hat mich gebrochen, aber dennoch habe ich gesiegt – dachte ich mir so. ☺
Schnell umziehen und heiß duschen, ein wenig die Beine massieren und die Bahn Revue passieren (Routen- und Fehleranalyse). O-technisch war ich sehr zufrieden, aber für den nächsten Wettkampf muss ich dann doch erst mal wieder viel nachholen, um meinen Kadaver wieder fit zu bekommen.
In diesem Sinne, viel Spaß und Erfolg für die nächste Saison - und fleißig über den Winter trainieren, damit ihr nicht solch eine Grenzerfahrung machen müsst ;)
Beste Grüße, euer Steube
kommentiert von Yannic